Dieser Artikel widmet sich einem allseits bekannten Thema beim Klettern – der Angst.
Es geht nicht direkt um das Thema Sturzangst, sondern vielmehr um unsere allgemeine Einstellung zum Thema Angst und unseren Umgang mit ihr.
Dazu habe ich einen anderen Artikel geschrieben: Tipps gegen Sturzangst.
Aber liest erstmal weiter 😉 Vielleicht findest du ja einen neuen Gedanken zum Umgang mit deiner Angst.
Mit der Angst ist es wie mit vielen anderen, als negativ empfundenen oder unangenehmen, Emotionen… die meisten Menschen wollen diese Gefühle am liebsten „weg haben“.
Viele Kletterer fragen sich, „wie bekomme ich meine Sturzangst weg?“. Genau wie viele Menschen im Alltag all die negativen Emotionen, die so aufkommen am liebsten nicht mehr haben wollen.
Aber genau da liegt schon die Fehlannahme. Angst und all die „negativen“ Emotionen sind, genau wie jede positive Regung, Gefühle und haben damit ihre Berechtigung.
Jedes unserer Gefühle hat seine Berechtigung. Denn jedes unserer Gefühle tut etwas für uns und hatt einen Sinn. Oft wissen wir nicht genau was dieser ist und versuchen deshalb diese Emotion nicht mehr zu fühlen, weil die Auswirkungen eben erstmal unangenehm sind. Leider ist das selten zielführend.
Viel besser wäre, einmal zu überlegen was denn dieses Gefühl uns gerade mitteilen möchte. Wovor es uns vielleicht schützen will oder was es uns sagen will. Unsere Aufgabe ist also nicht das „nicht mehr fühlen“ der Emotion, sondern den Sinn dieser Emotion zu erkennen und deinen Umgang mit ihr zu finden.
Genauso ist es mit der Angst.
Warum haben wir eigentlich Angst?
Angst ist ein Zustand, also eine innere emotionale Reaktion, die auf eine äußeren Einfluss oder Wahrnehmung entsteht.
Angst dient unserem Überleben. Das weiß wahrscheinlich jeder. Wenn wir einen Feind oder eine äußere Bedrohung wahrnehmen reagiert unser Körper mit Angst bzw. Furcht.
Durch die ausgeschütteten Stresshormone werden verschiedene körperliche Funktionen aktiviert.
Die Aktivierung dient dazu uns für den Kampf oder die Flucht bereit zu machen.
Die Herzfrequenz erhöht sich und der Blutdruck steigt, wir sind wacher, die Sinneswahrnehmung schärft sich, die Bronchien erweitern sich und der Blutzuckerspiegel steigt. Die Pupillen weiten sich.
Unser Körper reagiert vielfach auf äußere, als gefährlich wahrgenommene, Einflüsse.
Allerdings dienen all diese körperlichen Funktionen der Leistungssteigerung!
Sie machen uns für die Flucht oder den Kampf bereit. Es wird mehr Energie zur Verfügung gestellt, das Sichtfeld wird breiter, die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit fokussierter.
Genau genommen sind wir im Zustand von Furcht oder Angst leistungsfähiger.
Das heißt, solange sich die Erregtheit nicht in Richtung der Panik entwickelt.
(Hier findest du mehr zum Thema 3 Zonenmodell für effektives Sturztraining)
Der Unterschied zwischen Angst und Panik
Wenn wir in Panik geraten, dann weil wir keinen Ausweg mehr wissen. Dann heißt es totstellen. Panik tritt auf, wenn wir auf äußere Hilfe angewiesen sind und uns nicht mehr selbst retten können.
Der Körper macht komplett dicht und geht in Selbstschutz.
In diesem Zustand ist unser Stressystem überaktiv. Die resultierenden körperlichen Erscheinungen sind Schockstarre, Angst- /kalter Schweiß, weiche Knie, weinen, Schwindel und man fühlt sich wie benommen.
Die Schwierigkeit an dieser Situation ist einerseits, dass unser klares Denken extrem eingeschränkt ist und andererseits, dass die entsprechende erlebte Situation in unserem Gehirn mit dem Panikzustand gekoppelt wird und man so, bei erneuter Konfrontation mit einer ähnlichen Situation schneller in Panik gerät. Das heißt, sobald wir zu sehr in Richtung Panik driften ergibt sich ein negativerlebnis, das mit extremer Gefahr gleichgesetzt wird. Diese Erlebnisse sind für un sehr kontraproduktiv, da wir in Pnaiksituationen handlungsunfähig sind.
Im Gegensatz dazu ist jede Situation, in der wir Angst haben und in der wir es schaffen uns zu regulieren und die Situation zu bewältigen ein extremer Lernboden. Durch die körperliche Aktivierung behalten wir die Situationen und Handlungen, die uns geholfen haben, die Gefahr zu überleben, besonders gut. Deshalb wird Angst auch so häufig mit der Wachstumszone in Verbindung gebracht. Wir können im Zustand von Furcht über uns hinauswachsen und sehr viel für die Zukunft lernen.
Beziehen wir das jetzt einmal aufs Klettern. Schaffe ich es beim Klettern im Zustand von Furcht über verschiedene Techniken wie z.B.: Fokussierung auf meine Fähigkeiten, realistische Bewertung der Situation, positiven inneren Dialog und Atmung, meine Furcht zu regulieren und die Situation zu meistern, so lerne ich daraus für zukünftige Situationen und werde mental stärker. Auch die eingesetzten Bewegungen schärft sich mein Gehirn besonders gut ein.
Wie hilft dir jetzt dieses Wissen?
Wie auch in anderen Lebensbereich gilt auch im Bezug auf die Angst: Nicht die Situation selbst ist Ausschlag gebend für unsere Emotionen, sondern unsere Bewertung der Situation entscheidet darüber, ob wir die Situation als positiv oder negativ, fördernd oder bedrohlich wahrnehmen.
Wenn man eine Situation nicht ändern kann ist meist ein guter Ansatzpunkt an der eigenen Bewertung der Situation zu arbeiten.
Für mich gilt das gleiche für die Angst.
Wenn du es schaffst, die Angst anstatt als unerwünscht und störend, in Zukunft als leistungsfördernd und Wachstumsmöglichkeit zu bewerten, so wird auch deine Reaktion und dein Umgang mit der Angst ein vollkommen anderer werden können.
Und genau darum geht es. Um eine Neubewertung der Angst beim Klettern.
NIEMAND klettert zu 100% angstfrei
Es geht nicht darum keine Angst mehr zu empfinden und sie „weg zu bekommen“. Es geht vielmehr darum einen neuen, besseren Umgang mit ihr zu finden und die eigene persönliche Angstgrenze zu verschieben.
Jeder hat seine eigene Grenze ab wann er/sie Angst spürt und mit ihr zu tun bekommt. Bei dem einen kommt beim Klettern die Angst bereits im Toprope auf, bei jemand anders, wenn er/sie 4m über dem Haken steht und bei Alex Honnold… wahrscheinlich erst sehr viel später 😉 anscheinend erst wenn er hunderte Meter sicherungsfrei über dem Boden klettert…
Und dennoch kennen wir sie alle.
Deshalb: Angst ist dein Freund. Sie hilft dir wachsam zu sein, dich selbst zu schützen, zu überleben und zu lernen.
Das nächste Mal, wenn sie an deine Tür klopft, anstatt mit aller Gewalt die Tür zustoßen zu wollen, während sie bereits einen Stiefel im Spalt hat, mache ihr doch die Tür auf und unterhalte dich ein bisschen mit ihr. Vielleicht „bietest du ihr eine Tasse Kaffee an“ und sie verabschiedet sich danach ganz zufrieden von selbst wieder 😉
Was ist also das Wichtigste, was du für dich mitnehmen kannst wenn es ums Thema Angst beim Klettern geht?
Es geht nicht darum die Angst komplett wegzukriegen, sondern einen neuen Umgang mit ihr beim Klettern zu finden.
Das nächste Mal, wenn du Angst in einer Tour hast rufe dir in Erinnerung, dass die Angst dir nichts Böses will, sondern dir genau jetzt eine super Möglichkeit gibt besonders gut zu wachsen und zu lernen. Wenn du es schaffst aus eigener Kraft die Situation zu bewältigen.
Rufe dir in Erinnerung, dass dein Körper sogar prinzipiell in einem leistungsfähigeren Zustand ist.
Wichtig ist dabei, dass du für dich ein Gefühl entwickelt ob du dich im Bereich der Furcht befindest, der dir Wachstum bietet, oder ob du schon am Rand der Panik stehst, denn in diesen Bereich willst du auf gar keinen Fall kommen.
Wenn du beim Klettern in Panik gerätst merkt sich das dein Kopf & Körper und wird dir zukünftige ähnliche Situationen entsprechend schwer machen.
Deshalb höre gut auf dich in welchem Bereich du dich befindest und versuche deine Angst so gut du kannst zu regulieren, damit sie auf einem wachstumsfördernden Niveau gehalten wird.
Deshalb hier noch ein paar
Tipps um beim Klettern mit aufsteigender Angst besser umzugehen
Nutze deine Atmung
Versuche deinen Fokus auf deine Atmung zu richten und tief ein und auszuatmen. Erstens lenkst du so deine Gedanken von den Bildern oder äußeren Geschehnissen ab, die die Angst auslösen und zweitens sorgst du für eine bessere Sauerstoffzufuhr, was wiederum deinem Denken und deinen Muskeln zugutekommt.
Meist geht mit aufsteigender Panik eine flache Atmung einher. Durch gezielte tiefe Atmung kann den daraus resultierenden Effekten entgegen gewirkt werden und Beruhigung gefördert werden.
Plane voraus!
Angst entsteht oft durch Überforderung. Man bekommt Angst, versucht sich irgendwie zur nächsten Exe zu retten, clippt und kann sich kurz entspannen. Das gleiche geht nur leider von vorne los, sobald man weiter klettert. Dem kannst du entgegenwirken, indem du vorausplanst. Wenn du dich „in Sicherheit“ befindest, also gerade die Exe geclippt hast wird erst einmal geatmet.
Ruhig werden, bis du wieder klar denken kannst und dich sortiert hast. Währenddessen schaust du dir den Weg zum nächsten Haken an. Versuche Griffe und Tritte zu identifizieren, dir einen Plan zu machen und vor allem schon einmal zu schauen, wo denn der nächste gute Griff zum clippen ist. Und bis zu genau diesem Griff dem machst du dir einen Plan.
Dann klettere entschlossen in genau diesen Plan rein. Auch wenn etwas nicht ganz so aufgeht, wie du es dir überlegt hast, kannst dich dann darauf berufen, dass du weißt, wo du Griffe und Tritte gesehen hast und auch, wo dein nächster Sicherungsanker (dier Clippgriff) ist. Das hilft normalerweise nicht vollkommen kopflos in Panik zu verfallen.
Viele Kletterer geraten in stressige Angstsituationen, weil sie planlos in eine Stelle reinklettern und dann weder vor noch zurück wissen, genauso wenig stürzen wollen, und immer gestresster werden.
Vorausplanen ist eine extrem wichtige Fähigkeit beim Klettern, sowohl für einzelne Stellen, als auch für die gesamte Tour.
Selbige Kletterer schauen sich auch oft nur den ersten Teil der Tour an, steigen ein und sind dann im oberen Teil von der Schwierigkeit oder den Begebenheiten überrascht und bekommen Schwierigkeiten.
Deshalb: übe dich im Pläne schmieden schon vom Boden und dann an jeder Exe für den nächsten Abschnitt.
Neubewertung der Angst beim Klettern
Und als drittes nochmal die Erinnerung, wenn die Angst doch einmal da ist: Nutze deine neue Bewertung der Angst und der mit ihr einher gehenden Empfindungen.
Von „Oh nein, da ist wieder dieses unangenehme Gefühl, gleich geht nix mehr“ zu: „mein Körper ist jetzt besonders reaktiv“.
Du kannst ebenso in einen inneren Dialog mit dir bzw der Angst gehen und dich über diesen inneren Dialog beruhigen. Das ist eine typische mentale Technik, die du selbst direkt beim Klettern super anwenden kannst.
Außerdem: Nur wer Angst hat kann auch mutig sein 😉
In diesem Sinne: Ich hoffe ich konnte dir ein paar Impulse geben zu deiner Einstellung und deine Gedanken zum Thema Angst beim Klettern und Angst im allgemeinen.
Lass mich gerne in den Kommentaren wissen ob es dir geholfen hat, oder nutze die Kommentare für deine Fragen.
Deine Aletta
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Schreib mir gern eine Email mit deiner individuellen Anfrage! Wir lernen uns erst einmal telefonisch kennen, besprechen dein Anliegen und schauen, ob es passt gemeinsam daran zu arbeiten.
ich freue mich von dir zu lesen!
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Dieser Artikel ist inspiriert von den Inputs aus meinem Sportkletterlehrgang.
Danke an Alexis Zajetz vom Institut für therapeutisches Klettern für den tollen Vortrag & Austausch.