Umgang mit Emotionen beim Klettern & im Leben

Outside is more space than inside…
Gerade in der aktuellen Zeit kann man diesen Satz sicher aus mehreren Perspektiven deuten 😉
In diesem Artikel geht es allerdings nicht ums draußen oder drinnen Klettern oder sich aufhalten.
Sondern um eine Situation, die ich beim Klettern erlebt habe und aus der ich, wieder einmal, sehr viel für mich lernen durfte. Nämlich über den Umgang mit Emotionen beim Klettern und ein paar Gedanken zum Umgang mit Emotionen im Leben allgemein.
Erstmal kurz zur Situation:

Konfrontation mit meinen Emotionen beim Klettern

Letztens beim Klettern haben sie mich mal wieder überrollt…die lieben Emotionen.
Wir waren auf Gran Canaria zum Klettern. Ich wollte eine neue Tour auschecken und wurde von einem Bekannten gesichert, den ich zwar schon seit 2 Wochen kannte und von dem mein Kumpel sagte „der weiß was er beim Sichern tut“, mit dem ich vorher aber noch nie Klettern war.
Die Passage vom 2. zum 3. Haken war heikel… schlechte Reibung, kleine, runde Griffe und der Sturz ein Pendler… Es kam, wie es kommen musste…Ich bin natürlich weggerutscht, hab mich mega erschrocken und zack kamen auch schon die Tränen.

Manchmal hat man solche Tage… oder sollte ich sagen Frau?
Wie auch immer. Spannend ist, was danach geschah. Ich kann mir bis heute nicht recht erklären was an diesem Tag so anders war, aber es wollte einfach nicht mehr aufhören. Wenn ich allein war konnte ich die Tränen kurzzeitig beruhigen, aber jedes Mal wenn mich die nächsten 30 Minuten jemand ansprach ging die Fontäne wieder an^^.

Ich hab überhaupt nicht verstanden was los ist und gelacht und geweint gleichzeitig. Viele der canarischen Kletterer sind auf mich zugekommen und haben gefragt ob alles okay ist.
Und ihnen habe ich das gleiche gesagt, ja mir fehlt nichts… aber ich kann einfach nicht aufhören zu heulen… und weiß überhaupt nicht warum. Das war jetzt kein außerordentlich schlimmer Sturz oder außergewöhnliches Erlebnis.
Und die Antworten waren durch die Bank weg heilsam. Dinge wie: „Ja, aber das ist ja auch vollkommen normal, klettern ist ja voll emotional.“

Besonders im Kopf geblieben ist mir aber der eine Satz.
Einer der Kletterer hat sich etwas länger mit mir unterhalten und sagte dann: „You know what my grandpa always said?“

„Outside is more space than inside“

Und ich dachte mir nur: OMG, JA!!! was für ein weiser Mann!

Einerseits hat mir dieses verständnisvolle, zusprechende Kommentar in der Situation sehr geholfen und andererseits hat es, in Kombination mit diesem Ausbruch an Emotionen beim Klettern, in mir diverse Überlegungen angeregt…

Zu viele unserer Emotionen halten wir zurück, weil wir gelernt haben, dass sie unerwünscht sind, Menschen damit nicht umgehen können, oder wir uns dafür schämen.
Vor allem wenn es um Emotionen geht, die vermeintlich Schwäche zeigen.
Wir alle haben gelernt, dass manche Emotionen und Verhaltensweisen gut bei anderen ankommen und andere „nicht so gut“.
Und auch beim Klettern… fast jeder hat sicher schonmal jemanden beim Klettern schreien hören, wenn er/sie einen schweren Zug macht, voll ans Limit geht und sich pusht… Ich traue mich zu behaupten, dass dieser Ausdruck von Stärke/Willenskraft/Biss für die meisten weniger irritierend ist, als jemanden zu sehen, der heulend am Wandfuß sitzt und mit der eigenen „Schwäche“ zu tun hat.

Egal ob es Trauer, Verletztheit oder Verzweiflung sind…
Ich denke für alle diese Emotionen gilt dieser Spruch.
Viele dieser starken Emotionen fühlen sich an als würden sie einen zum Platzen bringen, wenn man sie nicht zum Ausdruck bringt… und doch halten wir gerade diese Emotionen meist zurück. Zumindest so weit, dass die für die Außenwelt „ertragbar“ sind.
Aber wie so schön gesagt: draußen ist mehr Platz als drinnen…

 

Gefühle brauchen Raum

und wollen gefühlt werden und nicht eingesperrt, unterdrückt oder überspielt.
Die ganze Außenwelt bietet so viel mehr Raum als in unserem kleinen Inneren vorhanden ist.
Natürlich meine ich damit nicht, dass wir aus dem Nichts andere Menschen anschreien sollten.
Aber meistens bezieht sich diese Zurückhaltung nicht nur auf Situationen, wenn wir mit anderen Menschen sind, sondern auch auf Momente in denen wir mit uns sind. Wir gestatten uns diese Emotionen selbst dann nicht. „Keep it together“ ist die meistgewählte Methode.
Das Paradox an der Geschichte ist, meistens werden die Emotionen leichter, sobald sie Raum bekommen haben, wenn sie gefühlt und durchlebt wurden. Wenn man bitterliche Tränen geweint hat, sich die Seele aus dem Leib geschrien, oder eine Tasse gegen eine Wand geschmettert hat.

 

Die Crux an der Sache ist einen Raum zu haben, in dem die Emotionen sein dürfen.
Und ich denke genau hier können wir alle beitragen. Je weniger jeder von uns einen anderen Menschen, der gerade einen Emotionsausbruch hat, bewertet und je weniger er/sie sich selbst angegriffen oder auf die Füße getreten fühlt… je mehr wir also die Emotion bei der anderen Person lassen können und uns bewusst machen, dass die Gefühle immer demjenigen gehören der sie fühlt und ihren Ursprung in dieser Person haben und nicht im Außen, umso offener, wertschätzender und unterstützender können wir einander in solch emotionalen Situationen gegenüber und zur Seite stehen.

Wie gut stehst du mit deinen Emotionen in Kontakt? Beim Klettern? Im Leben?

Meist ist es doch so, dass wir selbst genau mit den Emotionen nicht gut umgehen können, die wir uns selbst auch untersagen, nicht erlauben, oder in uns selbst unterdrücken.
Vielleicht ist es Zeit, den Emotionen ein wenig mehr Raum zu geben.
Vielleicht ist es Zeit für uns selbst zu lernen mit schwachen und unangenehmen Gefühlen besser umzugehen und so auch anderen in diesen Gefühlen besser beistehen zu können.

Am meisten fühlt man sich von der Wahrheit getroffen, die man selbst verheimlichen wollte (Friedl Beutelrock)

Und nur, damit wir uns nicht falsch verstehen.. damit meine ich keine Beschuldigungen von anderen Menschen, Gewaltausbrüche anderen gegenüber oder Verurteilungen. Niemand ist für meine Emotionen verantwortlich außer mir selbst. Also hat auch niemand die Verantwortung für diese Emotionen… außer mir selbst.
Also geht es darum diesen Emotionen in mir und mit mir diesen Raum zu geben und vielleicht andere Menschen zu ermutigen sich nicht für die eigenen Gefühle zu schämen oder herunter zu machen, sondern diese „einfach“ zu fühlen.
Je besser wir selbst mit unseren Emotionen in Kontakt sind, umso leichter können wir auch die Emotionen anderer aushalten, unterstützen und auf sie eingehen.

Genau das haben die kanarischen Kletterer für mich getan. Mein Emotionsausbruch war für sie quasi vollkommen normal. Mir wurde Verständnis entgegengebracht, Zuspruch und gleichzeitig Raum für mich gegeben.

Im Endeffekt war es ein wunderbar heilendes Erlebnis, über das ich noch Tage, ach was sag ich… immer noch!, fasziniert nachgedacht habe und es hat sich extrem positiv in mein Gedächtnis eingebrannt.

In diesem Sinne: Outside is more space than inside!
Ich hoffe, dass noch viel mehr Menschen andere ermutigen ihren Emotionen (Beim Klettern und im allgemeinen) Raum zu geben und sie im Durchleben dieser unterstützen.

See you at the crag!

Deine Aletta

 

 

 

 

 

 

 

Was sind deine Gedanken zum Thema? Oder hast du selbst ähnliche Erfahrungen gemacht?
Schreibs mir gern in die Kommentare!

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